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Exil
cinegeek.de - wrote on 04/04/16
Der lebende Tod in Bern. Hier kommt ein beeindruckend stilsicherer und eigenwilliger Liebesfilm aus Italien vom 35jährigen Paolo Sorrentino. Das italienische Kino, dass sich so lange dem Bombast und Pathos ergeben hat, braucht diese Frischzellenkur auch so dringend wie ein darbender Patient! Im Mittelpunkt ein todernster, ausdrucksloser Mafioso, der im Grunde das Leben eines modernen Manager-Typen führt: Weit weg von zu Hause als permanenter Hotelgast, gefangen in einem Labyrinth der Angst. Alles scheint hier unbeweglich, in der Schwebe und von reiner Eleganz. Dazu ein Sound Design, dass wirkt, als wäre nichts real, sondern nur Halluzination. Toni Servillo spielt Titta mit seinem angespannt sensiblen Gesichtsausdruck. Seit zehn Jahren lebt Titta wie ein Geist in diesem Luxus-Hotel in der Schweiz. Gekleidet wie ein Mann von Welt, stilvoll rauchend, ganz der bourgeoise Italiener, bezahlt er pünktlich alle Rechnungen und scheint nichts, aber auch gar nichts zu tun zu haben. Das Personal des Hotels ist fasziniert von ihm; wie er durch die Korridore des Anwesens schwebt, ohne auch nur einen Gruss zu erwidern. Titta zeigt keine Reaktion, starrt einfach an seinem Gegenüber vorbei. In der Bar nimmt er stets seinen gewohnten Ecksitz ein und trinkt allein. Jede Konversation mit anderen Gästen weist er zurück (der witzigste Moment ist der, da zwei Backpacker-Mädchen seinen Sessel besetzen). Tittas Hotelzimmer mit den Beige und Braun-Tönen wirkt wie ein deprimierendes Exil, in dem er seine Abende allein verbringt. Aber: Titta besitzt eine Waffe. Einmal wirft er sie aufs Bett, dann sein Jacket daneben. Die Kamera verharrt auf der Pistole, bis wir sie auch wirklich bemerkt haben. Jede Woche empfängt Titta einen mysteriösen Koffer voller Dollars von einer geheimnisvollen Frau mit Sonnenbrille. Ohne Fragen zu stellen bringt er den Koffer mit seinem silbernen BMW zur Schweizer Bank, wo er verlangt, dass die Summe per Hand gezählt wird (Titta glaubt, dass der Tag, an dem eine Maschine den Menschen dabei ersetzen wird, ein übler Tag sein wird). Schliesslich bekommt Titta Besuch von zwei Cosa Nostra Killern. Das Geheimnis seiner Existenz wird so gelüftet. Das Herz des Films aber ist eine Liebesgeschichte. An der Bar arbeitet eine schöne Kellnerin, Sofia (Olivia Magnani), die sich gleich eingangs vor ihm entkleidet. Sie grüsst Titta, der jedes Mal diesen Gruss verweigert. Schliesslich spricht sie ihn an. Sie tut das sehr bestimmt; es ist eine Beschwerde. Alles an dieser verwirrenden und ungeheuer intensiven Geschichte über Verbannung, Gefangenschaft und Flucht erscheint hyperreal durch die traumgleichen Bild-Kompositionen und den faszinierenden Sound. Die einzige Person, die sich wirklich für Titta interessiert, ist Sofia hinter der Bar. Wie sie ihre schüchterne Liebe zeigt, aber auch seinen Hang zu Selbstmitleid und Eitelkeit einfach entkräftet, das ist das Schönste, was ich seit langer, langer Zeit sah! Titta hat sich längst mit seiner Verzweiflung und Verdammnis abgefunden, ja sich davon einnehmen lassen. Sofia erweckt ihn und zeigt ihm, dass es noch ein anderes Gefühl gibt. Die Konsequenz der Liebe, erzählt Titta Sofia, sei gefährlich. Er soll Recht behalten...