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Existenz
cinegeek.de - wrote on 04/21/16
Our Daily Free Stream: Tarkovsky - Solaris (engl. subt.). Wir haben für euch im Laden eine Auswahl ernsthafter Science Fiction Filme aufgestellt. Deshalb gibts heute Solaris. - Die Filme von Andrei Tarkovsky wollen belehren und nicht unterhalten. Oft wird kritisiert, sie seien viel zu lang, doch das trifft nicht den Kern. Tarkovskys Langsamkeit dient dem Zweck, uns etwas runter zu fahren. Die normale Geschwindigkeit unseres Lebens weicht und wir treten ein in seinen Bereich der Meditation. Wir haben die Wahl: Reagieren wir auf seine Langsamkeit gelangweilt oder verdichten wir unsere Eindrücke? Er selbst hält das Kino für eine Hure, dass sich davon befreien muss, überhaupt gegen Entgeld verkauft zu werden. Stellen wir uns also diesen Cowboy mit Schnauzer und Stiefeln vor, diesen grössten Poeten des russischen Films (hier der link zu einer Tarkovsky Doku, die ich unheimlich interessant finde: https://www.youtube.com/watch?v=PTvIybrtMqU). Alle Filme von Tarkovsky sind Meditationen. Sie versuchen, die menschliche Natur und den Grund unseres Seins zu erforschen. Der Unterton tiefer Spiritualität war seiner Zeit Grund genug, dass sich der Regisseur Ärger mit den Soviet Behörden einhandelte, der ihn ins Exil trieb. Für mich verkörpert er den idealen Filmemacher, ambitioniert und zutiefst ernsthaft. Er schenkt den Vorlieben des Publikums oder dem Einspielergebnis seiner Werke keinerlei Beachtung. Solaris war mein erster Tarkovsky Film. Ich weiss nicht mehr genau, was ich erwartete, aber anschliessend stockte ich. Solaris ist langsam und von fast zweieinhalbstündiger Länge. Die Dialoge kommen trocken und sperrig daher. Nach einer Weile aber, liess ich von der äusseren Form ab und begann, ihm zu folgen. Ich erlebte Bilder von einmaliger Schönheit und fundamentale Fragen nach dem Sein der einzelnen Charaktere. Während des Finales, wird leise angedeutet, wie all das auch in einem ganz neuen Licht erscheinen könnte. Besser noch: Erscheinen müsste! So vieles gab es, darüber nachzudenken! So vieles blieb mir bis heute in Erinnerung! Solaris wurde als Beginn des modernen Science Fiction Films gedeutet. In den späten 60ern schien sich sowohl in den USA als auch in der UDSSR eine gemeinsame Richtung abzuzeichen: Zuvor setzte man Science Fiction mit Ufos und Aliens gleich, danach mit Reflexionen über unsere Existenz. Solaris ist die Verfilmung des Romans von Stanislaw Lem. Es ist die Geschichte einer Reise durchs Weltall mit der Entdeckung transformierter Alien Intelligenz. Menschen werden vom Geist abstrahiert und so neu erschaffen. Anders als die meisten Science Fiction Filme fragt Tarkovsky nicht nach dem nächsten Schritt in der Geschichte der Menschheit, sondern nach unserer Natur und der Realität unseres Seins. Der Film eröffnet mit einer langen Unterhaltung zwischen dem Psychologen Kelvin (Donatas Banionis) und dem Kosmonauten Burton (Vladislav Dvorzhetsky) im Haus von Kelvins Vater. Wir werden dieses Haus am Ende in einem transformierten Kontext wiedersehen. Burton erzählt von einer Soviet Station im Weltall, den Planeten Solaris umkreisend. Er erzählt vom Tod und dunkler Geheimnisse an Bord. Kelvin erreicht den Planeten (wir sehen seine Überfahrt aber nicht) und findet zwei tote Mitglieder der Crew. Andere reagieren tief verstört. Wir lernen, dass der gesamte Planet vom Meer bedeckt ist. Solaris reagiert auf den Menschen, indem er Erinnerungen wahr macht. Für Kelvin kreiert er ein Duplikat seiner verstorbenen Frau Khari (Natalya Bondarchuk) - detailgetreu, aber ohne deren Erinnerungen. Sie ist nicht nur eine physische Manifestation, sondern besitzt Intelligenz und hat eigene Erinnerungen. Was sie nicht weiss: Khari verübte Selbstmord. Sie fragt Kelvin aus über Khari und stellt schliesslich fest, dass sie nicht die sein kann, als welche sie erscheint. Ihre Existenz wird auf Kelvins Wissen über Khari beschränkt. Dieser Teil wird übrigens in dem allseits gescholtenen Remake von Solaris deutlicher. Wenn wir jemanden lieben - wen lieben wir dann? Die Person oder nur unsere Vorstellung von ihr? Offensichtlich existieren andere Menschen physisch, unsere Beziehung zu ihnen, resultiert aber nur durch unseren Geist. Berühren wir die Geliebte, ist unsere Wahrnehmung dessen ausschlaggebend. Die zweite Khari ist genauso "echt" wie die erste - und doch unterschiedlich. Die Beziehung Kelvins zu Khari ist wider die Natur. Die Warnung eines toten Kosmonauten zeugt davon: Khari kann nicht getötet werden. Sie erneuert sich immer wieder. Körperliche Schmerzen haben für sie keine Bedeutung. Die letzte Szene, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll, wird nur von uns wahrgenommen. Die Protagonisten sehen sie nicht. Wir, das Publikum, sind in der Lage, etwas zu entdecken, nicht die Charaktere im Film. Stellen wir uns mal vor, Solaris hätte einen typisch amerikanischen "Indie" Verleiher gefunden: Vermutlich hätte der Prooduzent das Werk gekürzt - vielleicht sogar etwas gefügiger gemacht. Zum Glück geschah das nie! Kein Regisseur hat je meine Aufmerksamkeit mehr herausgefordert! Tarkovsky versucht, grosse und tiefe Kunst herzustellen! Er folgte der romantischen Sichtweise, der Einzelne könnte die Realität durch die eigene spirituelle Wahrnehmung umformen. Tarkovsky hatte Vertrauen in die Menschen.