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Anti deutsch
cinegeek.de - wrote on 05/01/16
Wolfgang Beckers Film trägt den inoffiziellen Untertitel "Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära" und das ist in den frühen 90ern Programm! Das Leben ist eine Baustelle ist die erste anti-deutsche Komödie, nicht aus München, sondern dem prolligen Berlin. Er, Jan, ein Kreuzberger Gelegenheits-Arbeiter, sie, Vera, eine Künstlerin, wohl aus dem neuen Osten der Stadt, aber auch mittellos. Die Liebe beider bietet uns eine Reise tief in die Unterschicht, in Mietwohnungen, wo Sex Parties stattfinden und die Kinder merkwürdig erzogen werden (Gemüse-Fresser sind die Arbeitslosen von morgen!). Wolfgang Beckers Dramödie bietet aber auch einige fast surreale Sequenzen und eine endlose Fülle schöner Einfälle. Eine Reise zurück ins Berlin der 90er! Jürgen Vogel spielt Jan Nebel, der als Aushilfe in einer Schlachterei arbeitet. Am ersten Mai in Kreuzberg trifft er auf eine Vermummte, die von Zivilpolizisten gejagt wird. Jan greift ein, reisst einen Polizisten zu Boden, im Glauben, der würde eine Frau angreifen. Sie ruft ihm zu, dass er gerade einen Bullen niedergeschlagen hat und beide fliehen. Hinein in eine Kreuzberger Wohnung, in der ein Familienvater mit seinen Kindern trainiert, die Todesschreie aus verschiedenen Horrorfilmen zuzuordnen. Er trägt weiss gerippte Unterhosen, sein Frau sieht aus, als ob sie seit 100 Jahren Kette raucht. Jan wird erwischt und verurteilt, dafür kennt er jetzt Vera, die Vermummte. Doch ihr erstes Rendezvous ist alles andere als romantisch... Kreuzberg ist hier übrigens noch ganz Kreuzberg, ein Prolo-Bezirk, in dem am ersten Mai die Steine fliegen. Vera wird gespielt von Christiane Paul. Sie schwebt durchs Leben und bedient sich uneingeladen an Kongress Buffets. Jan dagegen kämpft sich durch und wird doch immer wieder zurückgeworfen. Vera versteht er nicht. Sie ist für ihn nicht greifbar und tatsächlich nicht erreichbar. Wolfgang Becker hat den Film gemeinam mit Tom Tykwer geschrieben. Hier sollte der Mann einmal nicht Architekt sein und die Frau Journalisitin. Wir sehen auch keine schicken Münchener Lofts, sondern Berliner Buchten. Als Das Leben ist eine Baustelle ins Kino kam war all das noch ganz ungewöhnlich. Wir hatten einiges hinter uns, so die schlimme deutsche Beziehungskomödie der 90er und dagegen wollten Becker und Tykwer angehen. Das Leben ist eine Baustelle bietet tolle Nebenfiguren wie Jans Schwester Lilo (Martina Gedeck), die zu Hause nackt Shopping Parties veranstaltet, anstatt für ihre Tochter zu sorgen. Im Nebenzimmer lungert ihr Mann Harry (Armin Rohde) im Bett, der während des ganzen Films herummeckert. Am längsten blieb mir Ricky Tomlinson als Buddy in Erinnerung. Ein nicht mehr ganz junger Mann, der in seinen Erinnerungen lebt. Mit ihm freundet Jan sich an und womöglich gibt es sogar so etwas wie Hoffnung in diesem zärtlichen Film...