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Irrsinnig
cinegeek.de - wrote on 08/03/16
Our Daily Free Stream: Leos Carax - Pola X (engl. subt.). Les Carax gilt als Verrückter. Das sei dahingestellt, denn bräuchte man nicht einen zweiten Wahnsinnigen, um den ersten zu erkennen? Zumindest kenne ich als Videothekar der Filmkunstbar Fitzcarraldo die Kunden, welche gern Carax Filme leihen. Alle Filme, denn sein Werk ist für sie Religion. Carax geht leidenschaftlich und impulsiv an die Arbeit. Bestimmt gibts gute Gründe, wenn einer auch noch mit +50 als Enfant Terrible gilt. Sein Held heisst Pierre. Ein Visionär, der sich den flammenden Fantasien der Jugend ergeben hat! Er selbst würde sich wohl als Künstler bezeichnen und liebt die grosse Geste. Carax verfilmte Herman Melvilles Roman Pierre aus dem Jahr 1852 - damals ein Schock für das Publikum, das eine weitere Abenteuergeschichte erwartete. Wie im Fiebertraum schrieb Melville und erst 1990 durfte eine unzensierte Version über den Ladentisch gehen. Pierre bietet immerhin auch inzestuöse Obsessionen mit der Mutter sowie der Halbschwester. Obwohl Carax Film heute spielt, kommt man sich doch vor wie im 19. Jahrhundert (denk dir einfach mal die paar Autos und Strassenszenen weg). Pierre (Guillaume Depardieu), ein junger Aristokrat, lebt in einem Chateau mit seiner Mutter (Catherine Deneuve). Beide stehen sich verdächtig nahe, nennen sich "Bruder" und "Schwester". Es ist kein Tabu, wenn er sie im Bad besucht. Für Deneuve ist es ein Leichtes, derartige Szenen zu spielen, da sie allem Sinnlichen entsagt. Bei Deneuve verkommt Sex zur reinen Funktion. Eigentlich ist Pierre verlobt mit Lucie (Delphine Chuillot), die fast wie ein Hündchen an seiner Seite wirkt. Schliesslich taucht noch die dunkle, mysteriöse Isabelle (Katerina Golubeva) auf, die Pierre ihr Geheimnis anvertraut: "Du bist nicht das einzige Kind. Ich bin deine Schwester..." Sie wuchs auf im Wald und spricht mit einem seltsamen Akzent, wurde nie sozialisiert und wirkt verzweifelt. Eine tief traurige Figur. Pierre verfällt dem Wahn, sein eigenes Glück hinfort zu werfen und Isabelle zu folgen... Pola X ist ein Werk, das es geradezu darauf anlegt, erfolglos zu bleiben. Ein Film, an der Grenze zum Lächerlichen. Carax wagt nicht nur vieles, sondern alles und nach dem Abspann bleibt immerhin das Gefühl, an einem Experiment teilgenommen zu haben. Pierre ist ein derartig egoistischer Charakter, dass es sogar noch selbstsüchtig wirkt, wenn er sein eigenes Leben wegwirft. Isabelle eine Narzistin, so wie sie ihr Gesicht hinter ihrem dunklen Haar verbirgt. Dieses Paar steht im Kontrast zu kalten eleganz der Mutter. Ist nicht allein diese Konstellation interessant? Würdest du nicht lieber einen solchen (misslungenen) Film sehen als noch mehr Konfektionsware?