Rating of
N/A
Tempo
cinegeek.de - wrote on 08/28/16
Our Daily Free Stream: Vertov - Man With A Movie Camera. Leicht vorstellbar, wie sehr das Publikum im Jahr 1929, dem Jahr als Vertovs Man With A Movie Camera ins Kino kam, überfordert gewesen sein muss. Während der Stummfilm-Ära war das Publikum gewohnt, dass Einstellungen zehn Sekunden oder länger andauerten. Hier waren es zwei Sekunden - eine Geschwindigkeit, die uns moderne Blockbuster zumuten. Genau darin liegt der grosse Einfluss, den Vertov ausübte! Dziga Vertov fühlte sich eingeengt von der Tradition des Theaters. Für ihn war Kino bis dahin nur eine Fortführung der Bühne, was ihn nicht befriedigen konnte. Es war an der Zeit für einen neuen Stil! Ein Film, der so schnell voranschritt wie unser Gehirn in seinen Assoziationen! Keine Dialoge, Untertitel, kein Szenario! Eine Serie von Bildern in rasanter Abfolge, das ist The Man With A Movie Camera! Vertov folgte gezielt seinem Plan: Er wollte 24 Stunden aus dem Leben einer russischen Grossstadt vorführen. Moskau, Kiew und Odessa, drei Städte, gefilmt in vier Tagen - zusammengefasst zu einem einzigen. Es kam eine rekordartige Summe einzelner Einstellungen zustande, die von seinem Bruder, Mikhail Kaufman, geschnitten werden sollte (angeblich weigerte der sich anschliessend, je wieder mit Vertov zu arbeiten). Vertov, der während der russischen Revolution seine Karriere begann, als die Experimentierfreude im russischen Kino ihre Blüte erreichte, bezeichnete sich selbst als radikalen Künstler. Surrealismus und Avantgarde waren "State Of The Art" - noch heute wirkt Vertovs Puzzle so frisch wie in den 20ern! Und wann wurde je wieder ein solcher Versuch unternommen? Maschinen, Arbeiter, Strassen, Strände, individuelle Gesichter(...) Jeder darf das in Vertovs Film hinein interpretieren, was ihm am meisten behagt. Wovon aber handelt das Werk denn nun wirklich? Davon, wie ein Film hergestellt wird. Es gibt nur eine Figur, die durch den Film führt (aber keinen "Charakter" darstellt): The Man With The Movie Camera. Die Kamera auf seinen Schultern, marschiert er durch eine Kohlen-Miene oder befindet sich auf einem fahrenden Lastwagen. Später jagt uns ein Zug entgegen - fährt "in die Kamera hinein". Geschnitten wurde all das mit dem Verfahren des "Intercut". Manchmal stoppt das Geschehen, die "Action" wird eingefroren. Gibt es keine Kontinuität, dann doch Geschwindigkeit. Fast so, als hätte der Film sich selbst geschnitten. Eine Stilübung in Sachen Tempo! In Hollywood herrscht bis heute das Gebot des unsichtbaren Schnitts. Vertov zerstört diese Idee! Der Film handelt vor allem von sich selbst. Grossstadt- Dokumentationen, so über Berlin, gab es bereits zuvor. Vertov aber zeigt nicht EINE Stadt. Er nennt auch keinen Namen. Dadurch ist sein Fokus viel weiter. Ein Experiment, das undenkbar ist ohne Musik. Am bekanntesten die Vertonung der US Version durch Michael Nyman, welche die Rastlosigkeit von Vertovs Film unterstreicht (diese Version bieten wir in der Filmkunstbar Fitzcarraldo auf DVD an - hübsch restauriert). Vieles, was man meint, dem späteren Kino an Experimenten zuzuschreiben - vieles, vieles lässt sich in The Man With The Movie Camera entdecken - und geniessen!