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Menschliche Natur
cinegeek.de - wrote on 04/21/16
Belle De Jour, ein Film, der mich immer und immer wieder heimsuchte. Es ist die Geschichte einer gut situierten jungen Frau, die sich zwei oder drei Tage pro Woche in einem Bordell prostituiert. Vermutlich ist es der berühmteste Erotik Film der Moderne und wahrscheinlich auch der Beste! Das kommt daher, weil Belle De Jour Erotik von innen her versteht. Nicht nur als Anblick von nackter Haut und Schweiss, sondern als Imagination. Wir sehen den Film durch die Perspektive Severines, einer 23jährigen respektablen Ehefrau, gespielt von Catherine Deneuve. Luis Bunuel verbrachte ein ganzes Leben damit, gerissene Filme über das Geheimnis der menschlichen Natur herzustellen. Eine wesentliche Sache war ihm bewusst, welche die meisten anderen Regisseure nie herausfinden würden: Für eine Frau wie Severine resultiert der erotische Aspekt nicht daraus, wer im Raum auf sie wartet, sondern einfach dadurch, dass SIE den Raum betritt. Sex, das macht sie mit sich selbst aus. Liebe ist etwas anderes. Das Subjekt von Severines Passion, das ist immer Severine selbst. Sie führt eine wenige ergiebige Ehe mit einem jungen, gutaussehenden Arzt namens Pierre (Jean Sorel). Dann gibt es noch einen Freund der Familie, den düsteren Henri (Michel Piccoli, der dafür geboren wurde, so zu schauen, als ob er damit etwas bestimmtes andeuten wollte). Auch Henri fühlt sich angezogen von Severine; von ihrer blonden Perfektion, ihrer Reserviertheit und kalten Geringschätzung seiner Person. Einmal weist sie Henri zurecht, er soll seine Komplimente für sich behalten. Severines Geheimnis ist ihr zweites Leben, dass sie in der Welt ihrer Fantasie führt. Es besteht eine Kluft zwischen ihrem geheimnisvollen Lächeln und dem, was sie tatsächlich denkt. Bunuel selbst hält für seinen Fetisch von Füssen und Schuhen auch etwas Raum in Belle De Jour bereit - er versteht, dass ein Fetisch eben nichts weiter ist als ein Fetisch! Severine ist Masochistin und lässt sich gern roh behandeln. Einiges, was sie erregt, wird im Film nicht vorgeführt, denn es gehört ihr allein. Darüber hinaus erleben wir die berühmten Fantasy Sequenzen des Films, in denen Severine ihre Sexualität auslebt. Der Wendepunkt ihres Lebens tritt ein, als sie von einem Bordell hört, in dem Hausfrauen nachmittags arbeiten. Die Adresse bekommt sie von Henri. Severine klopft und eine ältere Businessfrau, namens Madame Anais (Genevieve Page), öffnet. Zunächst ist Severine verunsichert, läuft weg, aber sie kehrt zurück. Madame Anais hat genug Erfahrung, um Severines Bedürfnisse zu erkennen. Sie weiss, Severine braucht eine starke Hand. Es gibt in Belle De Jour keine explizite Sex Szenen. Am meisten blieb mir die Sequenz in Erinnerung, in der ein Kunde eine Box öffnet und den Inhalt den Damen zeigt. Wir sehen nichts davon und verstehen es auch nicht wirklich. Nur eine summende Stimme vernehmen wir... Die erste Prostituierte verweigert den Wunsch des Kunden, Severine auch. Schnitt. Was war in der Box? Die Wahrheit interessiert Bunuel nicht. Es geht um das Symbol: Es muss etwas ausgesprochen Wichtiges für den Kunden gewesen sein. Etwas, dass für ihn eine erotische Bedeutung hatte. Dann kommen zwei Gangster in Madame Anais' Bordell. Mit dem Jüngeren beginnt Severine eine Affäre, die uns ironischerweise zum melodramatischen Finale leitet. Severine fühlt sich von den rohen Strassenmanieren des Gangsters angezogen. Er gehört zu ihrer Phantasiewelt - ansonsten kümmert er sie wenig. Der Gangster selbst kann nicht verstehen, dass sich so eine Frau für ihn interessiert. Wir umso mehr! Luis Bunuel ist einer der grössten Filmemacher aller Zeiten. Ein Surrealist als junger Mann, der die menschliche Natur mit tiefem Zynismus betrachtet - nicht zornig, sondern amüsiert. Er war fasziniert davon, dass unsere Obsessionen eine stärkere Wirkung haben als der freie Wille. In vielen seiner Filme erleben wir, wie die Figuren scheinbar frei handeln - in Wahrheit jedoch nicht. Bunuel glaubte, dass sich viele Menschen früh auf ihre sexuellen Vorstellungen festlegen, um dann ein Leben lang daran fest zu halten. Severine ist so ein Mensch. Sie betont an einer Stelle, dass sie sich nicht zu helfen weiss. Severine ist verloren. Sie weiss, dass sie ihren Mann mit einem Gangster betrog und bereut es resigniert. Doch sie kann eben nicht aus ihrer Haut. Ihr Schicksal scheint vorherbestimmt, so wie das ihres Mannes, der den Gelüsten seiner Frau nicht gewachsen ist. Alles scheint unvermeidlich. Einmal lehnt Severine die speziellen Praktiken eines Kunden ab. Madame Anais nimmt sie mit ins Nebenzimmer, um durch ein Guckloch zu schauen und zu lernen. Es sei ekelhaft, wehrt Severine ab. Dann sieht sie wieder durch das Loch.