cinegeek.de's Movie Review of 400 Blows, The ( quatre cents coups, Les )

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400 Blows, The ( quatre cents coups, Les )

Problemschüler
cinegeek.de - wrote on 05/04/16

Muss ein Film ausstrahlen, wieviel Spass die Macher dabei hatten, ihn zu drehen? Oder ist es wichtig, dass wir die Qualen nachvollziehen, die es bereiteten, dieses Werk fertigzustellen? Für mich lautet die Antwort: Zwei Mal deutlich NEIN!! Francois Truffauts Les quatre cents coups ist einer der gefühlvollsten, mitreissendsten, bewegendsten, wundervollsten Filme über das Heranwachsen, die je gemacht wurde! Inspiriert durch Truffauts eigene Adoleszenz, sehen wir einen Jungen, der sich in den Strassen von Paris herumtreibt und ziemlich offen dafür ist, auf die schiefe Bahn zu geraten. Die Erwachsenen betrachten ihn als einen, der nur Ärger bringt. Wir aber teilen mit ihm auch intime Momente, etwa, wenn er vor seinem Schrein eine Kerze für den Dichter Balzac entzündet. In seiner letzten Szene blickt er direkt in die Kamera. Gerade entflohen aus einem Verwahrungsort für Jugendliche, hat er sich zum Meer durchgeschlagen. Da sitzt er nun, zwischen dem Festland und dem Wasser, zwischen seiner Vergangenheit und der Zukunft. Das Meer sieht er in diesem Augenblick zum allerersten Mal. Der Junge heisst Antoine Doinel und wird verkörpert von Jean-Pierre Leaud. Truffaut wird mit ihm innerhalb der nächsten 20 Jahre vier Langfilme und einen Kurzfilm inszenieren. Wir beobachten Antoine in seiner Entwicklung und beobachten Leaud, wie er in dieser Rolle erwachsen wird. Leaud ist Antoine und Antoine ist Truffaut. Alle Doinel Filme haben ihren Reiz und gehören zum Besten, was Truffaut jemals machte! Les quatre cents coups aber ist eine Klasse für sich! Das Gesicht von Antoine, es wirkt ernsthaft, fast feierlich - ganz so als ob sein Herz schon einige Wunden erlitten habe, bevor wir ihn im Film begegnen. Hier gehen Regisseur und Hauptdarsteller eine Symbiose ein, wie sie wohl einmalig ist in der Geschichte des Kinos! Nur sehr wenig in diesem Film wurde inszeniert, um einen Effekt zu erheischen. Vielmehr scheint sich alles zusammenzufügen wie eine Vorbereitung auf diese letzte Einstellung Antoines am Meer. Wir begegnen ihm zuerst als jungen Teen, der mit seiner Mutter (Claire Maurier) und dem Stiefvater so beengt lebt, dass sie sich ständig anbrüllen, weil immer irgendwer im Weg steht. Die Mutter, die am liebsten ganz enge Pullover trägt, wirkt ständig abgelenkt: Mal durch ihren lästigen Sohn, dann durch ihre permanente Geldnot und schliesslich durch eine Affäre mit einem Arbeitskollegen. Der Stiefvater (Albert Remy) behandelt Antoine zwar nett, aber kümmert sich nicht allzu sehr um den Jungen. Beide Eltern sind oft unterwegs und glauben im Zweifelsfall eher den Anderen, die Schlechtes über Antoine erzählen - Sie glauben dem Anschein, aber nicht ihrem Sohn. In der Schule haben die Lehrer ihm die Etikette des Problemschülers angeheftet. Antoine wird vom Pech verfolgt: Geht in der Klasse ein Pinup Kalendar herum, wird ER damit entdeckt. Schliesslich erzählt er als Ausrede für nicht gemachte Hausaufgaben, seine Mutter sei gestorben - wenig später aber erscheint sie im Schulkorridor. Seine Abende verbringt Antoine mit Balzac. Er liebt Balzac! Das geht so weit, dass er versucht, genauso zu schreiben. Antoine verfasst einen Aufsatz über den Tod seines Grossvaters - mit den Worten Balzacs. Diese Szene wird aber nicht als Homage, sondern als Plagiat bewertet und setzt sogar eine Abwärtsspirale in Gang, da Antoine mit seinen Freunden eine Schreibmaschine klaut. Die ergreifendste Szene ist für mich die, in welcher Antoine von seinen Eltern getrennt und dem Jugendamt übergeben wird. Besonders schmerzhaft hat mich das Gespräch seiner Eltern mit den Behörden getroffen, die ihn als verloren betrachten. Würde er weiterhin zu Hause bleiben, müsste man davon ausgehen, dass Antoine wieder wegläuft. Der Junge wird im Polizeiwagen abtransportiert, zusammen mit Prostituierten und Dieben. Es wäre aber ein Missverständnis, Truffauts Film für eine Tragödie zu halten. Es gibt so viele Passagen, die einfach Spass machen und ihren ganz eigenen Humor entfalten! Erinnere dich an die Szene, da der Sportlehrer mit einer Gruppe von Jungs durch Paris joggt, die ihm wie ein Tausendfüssler folgen! Oder die, in der Antoines Familie gemeinsam ins Kino geht und laut lachend wieder herauskommt! Wir wissen, dass Truffaut selbst so oft es ging, ins Kino floh, um zu vergessen. Es wird in Truffauts Karriere noch oft solche Verweise auf das Kino geben - immerhin rettete es ihm das Leben (wie er immer wieder beteuerte). Truffaut begann als Kritiker und vollendete sein Debüt Les quatre cents coups an seinem 27. Geburtstag. Wenn es so ist, dass die Nouvelle Vague die Trennlinie zwischen dem "klassischen" und dem "modernen" Kino markiert, dann ist Truffaut mit Sicherheit der am innigsten geliebte moderne Regisseur! 1984 starb er an einem Gehirntumor - viel zu jung! - doch er hinterliess 21 Filme. Truffaut inszenierte einen Film pro Jahr, fand aber dennoch Zeit, auch weiterhin berühmte Abhandlungen zum Thema Film und Drehbücher für Kollegen zu schreiben. Mal im Ernst, vergleiche ich Truffauts Werk mit dem seiner Mitstreiter der Nouvelle Vague - wieviel zeitloser kommt es mir heute vor! Immerhin stammt von ihm und seinen Kollegen die Theorie, dass der "Auteur" den Film verantwortet - und nicht das Studio, das Genre, der Star oder der Drehbuchautor. Wer weiss, vielleicht hat der Eine oder Andere ja einen Truffaut Schrein in seinem Zimmer? Vielleicht ist er gerade dabei, eine Kerze davor anzustecken? (Dazu gibts unsere Film List "Nouvelle Vague" auf cinegeek.de

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